06.10.2020
Sieben Tipps für den FTS-Einsatz
Das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Arbeitsmitteln gehen in der Intralogistik häufig Hand in Hand. Auch bei Fahrerlosen Transportsystemen hängen Entwicklung, Herstellung und Betrieb oft eng zusammen, weil der Fuhrpark meist individuell auf den konkreten Bedarf beim Anwender zugeschnitten wird. Der folgende Beitrag zeigt, worauf dabei zu achten ist.Wenn Prototypen entwickelt und getestet werden oder ein Unternehmen Sonderanfertigungen benötigt, dann halten der Einkauf und die Beschaffung häufig technische und rechtliche Herausforderungen für die beteiligten Auftraggeber und Auftragnehmer bereit. Denn aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes muss gewährleistet sein, dass Arbeitsmittel im späteren Betrieb sicher verwendet werden können.
Üblicherweise wird das durch die klare Trennung von der Herstellung des Arbeitsmittels und der Betriebsphase erreicht: Der Hersteller produziert das Arbeitsmittel (zum Beispiel ein Flurförderzeug) und bestätigt die normkonforme Ausführung mit der Konformitätserklärung. Der Betreiber, der das Produkt erwirbt und nutzt, gewährleistet anschließend, dass es sicher in Betrieb genommen wird und der sichere Betriebszustand dauerhaft erhalten bleibt.
Bei maßgeschneiderten Sonderanfertigungen, die auf den Wunsch des Kunden entwickelt, produziert und installiert werden, sind diese Phasen und die damit verbundenen Verantwortlichkeiten nicht immer zu trennen. Tüv Süd empfiehlt Herstellern und Betreibern deshalb, sich jeweils auch mit den Anforderungen der jeweils anderen Seite auseinanderzusetzen, um gemeinsam normkonforme und betriebssichere Fahrerlose Transportsysteme (FTS) zu implementieren.
Sichere Akkus wählen
Üblicherweise sind FTS mit einem oder mehreren Elektromotoren ausgestattet, die ihre Antriebsenergie aus Akkumulatoren beziehen. Im Betrieb können die Batteriezellen eine Quelle für Gefahren sein: Da sie viel Leistung bringen, eine hohe Energiedichte aufweisen und für schnelle Ladevorgänge mit hohen Ladeströmen ausgelegt sind, müssen die Hersteller von FTS diverse technische Vorkehrungen treffen, um elektrische Schläge, Brände oder Explosionen durch Selbstentzündung effektiv zu unterbinden. Je nach Wirtschaftsraum können unterschiedliche Standards und Normen gelten, um die elektrische Sicherheit zu gewährleisten.
Relevante Vorgaben ermitteln
In der europäischen Union gehört dazu beispielsweise die EN 1175 für elektrische Sicherheit. Diese enthält jedoch keine Vorgaben für den fahrerlosen Betrieb. Die dafür notwendigen Schutzausrüstungen und Sicherheitsfunktionen sind daher nach ISO 3691-4 zu planen und auszuführen. Für Antriebe mit Frequenzumrichtern sind zudem die internationalen Normen IEC 61800 und UL 61800 relevant. Für Elektromotoren gelten die IEC 60034 und die UL 1004. Falls für das konkrete Arbeitsmittel weitere, spezifische Normen zur Anwendung kommen müssen, ist es wichtig, dass diese unter den aktuellen EU-Richtlinien harmonisiert sind. Für Frequenzumrichter gilt beispielsweise die Niederspannungsrichtlinie (2014/35/EU). Zu berücksichtigen sind auch die Richtlinie zur elektromagnetischen Verträglichkeit (2014/30/EU) und die Maschinenrichtlinie (2006/42/EG), unter die das gesamte FTS fällt.
Einsatzumgebung beachten
Die Eigensicherheit der Akkus ist eine Grundvoraussetzung. Sie kann allerdings von keinem Hersteller garantiert werden, wenn das Fahrzeug mit dem Akku in einer dafür nicht geeigneten Umgebung eingesetzt wird. Das bedeutet, dass die Betreiber von FTS gefordert sind, bei der Beschaffung sicherzustellen, dass die Akkus für den konkreten Einsatz- und Bestimmungszweck geeignet sind. Daher gilt es, die an der Entwicklung und Herstellung beteiligten Auftragnehmer über die Rahmenbedingungen im geplanten Einsatzbereich zu informieren: Soll das Fahrzeug nur in geschlossenen Räumen fahren oder auch im Außenbereich, wo es Niederschlägen, Frost und Hitze ausgesetzt ist? Sind die Umgebungstemperaturen besonders niedrig (zum Beispiel Kühlhaus) oder besonders hoch (zum Beispiel Gießerei)?
Verhalten bei Beschädigung prüfen
Werden die Akkus beschädigt (etwa bei einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug), kann Explosionsgefahr bestehen. Das Design der Akkus und ihre Widerstandsfähigkeit sollten deshalb unter den geplanten Umgebungs- und Nutzungsbedingungen geprüft werden. Meist sind dafür auch Nachweise zum Beispiel durch unabhängige Dritte wie Tüv Süd Product Service zu erbringen. So wird bestätigt, dass sich die Akkus bei physischer Beschädigung und unter definierten Rahmenbedingungen akzeptabel verhalten und keine Explosionsgefahr von ihnen ausgeht. Diese Eigenschaften verifiziert zum Beispiel ein Transporttest nach UN 38.3.
Hindernisse zuverlässig erkennen
Damit das FTS sicher durch die Betriebsstätte navigieren kann, sind Sensoren, Kameras, Laser und andere optische und/oder mechanische Schutzreinrichtungen notwendig. Sich dabei ausschließlich auf ein physikalisches Messprinzip und ein Sensorsystem zu verlassen (zum Beispiel Distanz per Laser ermitteln), reicht dazu allerdings nicht aus. Beispielsweise könnten Reflexionen an glänzenden Oberflächen dazu führen, dass die Erkennung von möglichen Hindernissen nicht immer zuverlässig funktioniert. Deshalb sollten stets verschiedene physikalische Messprinzipien genutzt und die Daten parallel ausgewertet werden. Sind die Daten nicht konsistent, deutet das auf einen Messfehler und damit auf eine Fehleinschätzung der Verkehrssituation hin. Das FTS muss dann automatisch stoppen und in einen sicheren Betriebszustand überführt werden.
Das Fahrzeug sicher steuern
Da das FTS seinen Dienst autonom verrichtet und nicht von einem Mitarbeiter geführt oder überwacht wird, ist die Wahl einer qualitativ hochwertigen und zuverlässigen Steuerungssoftware eine Schlüsselaufgabe. Ist sie anfällig für Fehler oder falsch programmiert, kann das gefährliche Betriebszustände verursachen. Wenn die Software die Sensordaten nicht richtig verarbeitet, stoppt das FTS mitunter nicht rechtzeitig und kollidiert mit Menschen, Maschinen, Apparaten und anderen Gegenständen. Geeignet sind daher nur robuste und betriebsbewährte Softwareversionen. Selbst programmierte oder einfach verfügbare, lizenzfreie Software erfüllen diese Voraussetzung meist nicht. Daher lohnt die Investition in eine hochwertige, lizensierte Software, die häufig auch auf der Ebene der IT-Sicherheit das Schutzniveau erhöht.
Externen Zugriff erschweren
Das ist wichtig, damit die Daten des FTS sicher verarbeitet und gespeichert werden (zum Beispiel Informationen über Standort, Fracht, Zielort). So kann effektiv einer Manipulation oder kompletten Übernahme der Systeme durch Dritte vorgebeugt werden. Dazu eignen sich „Best Practices“, wie beispielsweise eine direkte Zuordnung von IP-Adressen der FTS oder standardisierte Schnittstellen. Bestehende und bewährte Programmbausteine zu verwenden und zu konfigurieren ist meist sicherer als die Steuerungssoftware neu zu programmieren und zu erproben. Die Normenreihe IEC 62443 liefert zusätzlich wichtige Design- und Bewertungskriterien für die Software.
Funktionale Sicherheit, verschiedene Kommunikationsprotokolle (etwa Wlan, Indoor-GPS) oder Vorkehrungen für mögliche Störungen des FTS – diese und weitere Aspekte müssen Auftragnehmer und Auftraggeber ebenfalls bedenken, wenn sie gemeinsam maßgeschneiderte Lösungen entwickeln. Mit einem international aufgestellten, unabhängigen Experten an der Seite, der bei Bedarf auch prüfen und benötigte Nachweise erbringen kann, meistern die Entscheider für Intralogistik selbst die Herausforderungen unterschiedlicher länderspezifischer Normen und gesetzlicher Regelungen.
Von Redaktion (allg.)
veröffentlich vonTechnische Logistik