04.09.2020
Entkopplung der Prozesse zur Steigerung der Lagerleistung
Der Kundenentkopplungspunkt ist eine gängige Prozessbetrachtung in der Produktion und speziell in der Automobilindustrie. Was kann der klassische Versand- bzw. Online-Handel hiervon lernen, welche Parallelen gibt es und welche Auswirkungen ergeben sich durch die Entkopplung der Prozesse, sowohl bei Auftragssteigerungen als auch Auftragseinbrüchen?Wer kennt das nicht: Das Geschäft läuft, die Prozesse sind eingeschwungen, moderate Auftragssteigerungen können ohne Prozessstörungen mitgenommen werden. Doch dann kommt der plötzliche Wandel! Bestenfalls durch steil ansteigende Auftragseingänge, schlimmstenfalls durch Einbruch der Aufträge.
Nun könnte man meinen, dass ein Einbruch der Aufträge keine oder nur kaum Auswirkungen auf die Lagerprozesse hat, da diese ja für höhere Mengen ausgelegt sind. In einigen Fällen mag das der Fall sein. Es werden lediglich die Personal- und Maschinenkapazitäten runtergefahren und schon sollte alles angepasst sein.
Ist das so? Man stelle sich ein Lager mit 50.000 m² Fläche vor. Die Zoneneinteilung wurde gemäß der ABC-/-XYZ-Analysen, saisonale Artikel, Klein- und Großteile etc. durchgeführt. Jedoch für einen entsprechend hohen Durchsatz und einer hohen Personal- und Maschinenkapazität. Reduziert man nun die Auftragsmenge bzw. den Durchsatz und die Kapazitäten, lässt die Lagereinteilung jedoch bestehen, kommt es zu unnötig langen Wegen im Lager.
Warum ist das so? Eine Reduzierung der Aufträge zieht meistens auch eine Änderung der Auftragsstruktur nach sich. Artikel mit vormals hoher Nachfrage werden eventuell zu Artikeln mit geringerer Nachfrage. Andere Artikel werden überhaupt nicht mehr oder nur sehr selten angesprochen. Lässt man diese Artikel nun dort, wo sie immer lagen, blockieren sie meistens wertvolle Plätze. Daher ist es wichtig, in gewissen Abständen und vor allem bei Änderungen der Auftragszahlen, Analysen durchzuführen und die Artikel entsprechend der Erkenntnisse umzulagern.
Was passiert beim besten Fall - der Auftragssteigerung?
Auch hier ist es sehr wichtig, in regelmäßigen Abständen das Sortiment und die Aufträge hinsichtlich Zugriffshäufigkeiten (XYZ-Analyse), Pickmengen (ABC-Analyse), Saisonartikel / Highrunner, Einpositions- und Mehrpositionsaufträgen und Artikel-Art und -Größe zu untersuchen.
Eine Entkopplung der Prozesse kann z.B. zur deutlichen Reduzierung der Wege und somit Prozesskosten führen. Steigt beispielsweise die Anzahl der Einpositionsaufträge an (Aufträge mit nur einem Artikel und der Stückzahl 1), so ist es absolut sinnvoll, diese Aufträge von den Mehrpositionsaufträgen in der Kommissionierung und Verpackung zu entkoppeln, wodurch die Leistung in beiden Auftragsabwicklungen steigen wird.
Ebenso sollten Highrunner, was zumeist Saisonartikel sind, aber auch einfach nur klassische „Verkaufsschlager“ sein können, separat und in Nähe der Packplätze gelagert werden. Ein Fehler, der gerade in der Coronazeit bei klassischen Retailern zu beobachten war, dass selbst diese Artikel aus dem Verkaufsraum kommissioniert wurden, da man keinen zweiten, nur für die eCommerce Abwicklung betreffenden Lagerplatz einrichten wollte. Die Folge war, die Auftragsdurchlaufzeiten waren stets zu lang und die versprochenen Lieferzeiten wurden nicht eingehalten.
Es ist also sinnvoll, in regelmäßigen Abständen seine Prozesse kritisch zu hinterfragen und ggf. anzupassen und voneinander zu entkoppeln.
Apropos Entkopplung der Prozesse: Was kann man aus der Produktion lernen und in den eCommerce-Bereich übertragen?
In der Produktion spricht man häufig vom sogenannten Kundenentkopplungspunkt. Der Kundenentkopplungspunkt kann an unterschiedlichen Stellen im Prozess liegen:
bei einem Variantenfertiger liegt er vor der Endmontage,
bei einem Auftragsfertiger liegt er vor der Teilefertigung
und bei einem Einzelfertiger liegt er noch vor der Beschaffung.
Eine Auftragsanalyse kann dazu führen, dass bestimmte Artikel immer wieder in Aufträgen vorkommen, es also sogenannte Zusammenbestellungen gibt. In diesem Fall könnte es sinnvoll sein, diese Artikel nahe der Packplätze (Endmontage) zu platzieren – der eCommerce-Händler wäre in diesem Fall also ein Variantenfertiger.
Der Auftragsfertiger ist der klassische Bestell- und Abwicklungsprozess. Der Einzelfertiger könnte beispielsweise mit dem Drop-Shipping-Prozess abgebildet werden, in dem der Händler Ware von Lieferanten erwirbt und diese an Kunden weiterverkauft, ohne physischen Kontakt mit der Ware zu haben.
Auch diese Betrachtung macht nochmals deutlich, welche Auswirkungen die Entkopplung von Prozessen haben kann und wie sinnvoll regelmäßige Analysen sind. Und diese Analysen und Erkenntnisse sind nicht nur im laufenden Betrieb wichtig, sondern auch in der Planung eines neuen Lagers. Hier führt die richtige Prozess-Sicht und -Analyse zur richtigen Auswahl der Lager- und Fördertechnik sowie IT-Unterstützung.
Thomas Lührs ist seit 23 Jahren in der Logistik als Projektmanager und Projektleiter aktiv und hat durch seine Tätigkeit Kernkompetenzen im Bereich der Intralogistik aufgebaut. Mit der Internet-Plattform www.how-logistics.de hat er die klassische On-Site-Beratung in den Online-Bereich transferiert.
Von Thomas Lührs
veröffentlich vonBVL.digital